Leistungselektronik


Stand: 2004-03

Thomas Mertin
Netzwerk- und Elektrotechnik

D-41334 Nettetal

Dynamisches Verhalten

1. Einschaltverhalten von Thyristoren


Das Einschaltverhalten von Thyristoren wird im wesentlichen bestimmt durch den äußeren Stromkreis, durch den inneren Aufbau und durch die Größe, Form und Dauer des Zündstromimpulses.


tgd = Zündverzugszeit (100% - 90% Ue)
Zeitdauer vom Anfang des Zündimpulses bis zum Abfall der Thyristorspannung auf 90% des Anfangswertes (1...10µs; abhängig vom Zündimpuls)

tgr = Durchschaltzeit (90% - 10% Ue)
Zeitdauer, in der die Thyristorspannung von 90% auf 10% ihres Anfangswertes abfällt (einige µs; abhängig vom Schaltkreis)

tgt = Zündzeit (100% - 10% Ue) = tgd + tgr

tgs = Zündausbreitungszeit
Zeitdauer nach Zündzeit bis zum Erreichen der statischen Durchlaßspannung (50...100µs; abhängig von der Geometrie und Gateanordnung; Zündausbreitungsgeschwindigkeit:
vz ≈ 0,1mm/µs)

te =    Einschaltzeit = tgt + tgs


Die kritische Stromanstiegsgeschwindigkeit

Zeichen:


Definition:
Die kritische Stromanstiegsgeschwindigkeit gibt an, mit welcher maximalen Geschwindigkeit sich der Strom beim Zünden ändern darf, ohne daß der Thyristor zerstört wird.

Physikalische Erklärung:
Am Anfang ist nur ein kleiner Kanal in unmittelbarer Nähe des Gates leitend. Steigt der Strom jetzt mit einer sehr steilen Stromsteilheit an, so entstehen in den kleinen leitenden Kanal hohe Stromdichten. Bei Überschreiten des Grenzwertes kann der Thyristor zerstört werden.


Die kritische Spannungssteilheit

Zeichen:

Definition:
Die kritische Spannungssteilheit gibt an, mit welcher maximalen Geschwindigkeit sich die Spannung am Thyristor ändern darf, ohne daß sich der Thyristor selbständig zündet.


Cdiff ist vernachlässigbar

Physikalische Erklärung:
Das hängt mit den kapazitiven Eigenschaften einzelner pn-Übergängen zusammen. Der in Sperrrichtung gepolte pn-Übergang ist mit einen Plattenkondensator vergleichbar, dessen kapazitiver Strom durch die Spannungsänderung beeinflußbar ist . Dieser Strom fließt über die äußeren pn-Übergänge und löst in der mittleren Sperrschicht eine Ladungsträgerinjektion aus. Er hat damit die Wirkung eines Gatestromes. Beim Überschreiten der kritischen Spannungssteilheit reicht der kapazitive Strom aus um den Thyristor zu zünden.


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2. Ausschaltverhalten von Thyristoren

Das Ausschaltverhalten von Thyristoren wird im wesentlichen bestimmt durch die äußere Schaltungsbedingungen wie Vorstrom, Stromsteilheit der Abkommutierung, Kommutierungsspannung und Beschaltung und durch ihren inneren Aufbau und durch ihre Sperrschichttemperatur.


ITM = Vorstrom

 = Stromsteilheit der Abkommutierung (hier: )

Uk = Kommutierungsspannung
wiederkehrende Spannung UR in Sperrichtung

Irr = Rückstromspitze
abhängig von ITM, , Uk und Sperrschichttemperatur TVJ)

trr = Sperrverzögerungszeit
Zeitdauer vom Stromnulldurchgang bis zum Zeitpunkt, an dem der Rückstrom wieder auf 10% von Irr abgesunken ist (abhängig von ITM, , Uk und TVJ )

Qrr = Sperrverzögerungsladung (Sperrverzugsladung)
(abhängig von ITM, , UR und TVJ )

uR(t) = Spannungsverlauf in Sperrichtung
(uR und abhängig von irr , Uk und Beschaltung)

TSE-Schaltung

Ohne TSE-Schaltung

Beim Ausschalten benötigen die Ladungsträger der äußeren Sperrschichten eine gewisse Zeit um abzufließen. Der Strom steigt nach dem Nulldurchgang mit umgekehrtem Vorzeichen wieder an. Der Thyristor bleibt leitend, bis diese Ladungen abgeflossen sind. Die scharfe Änderung des Stromes nach dem Erreichen der Rückstromspitze führt im Zusammenhang mit den Induktivitäten des betrachteten Stromkreises (nach dem Induktionsgesetz) zu hohen Überspannungen, die den Thyristor zerstören können.
Zur Begrenzung dieser hohen Überspannungen werden den Thyristoren RC-Glieder parallel geschaltet. Nachdem der Thyristor abgeschaltet hat, wird der Rückstrom nicht plötzlich in der Induktivität unterbrochen, sondern er fließt in dem sich bildenden Reihenschwingkreis in Form einer gedämpften Schwingung weiter. Dabei wird die Energie in Wärme umgesetzt.


Mit TSE-Schaltung

R ≈ 100Ω ; C ≈ 0,47µF
IRMM = Rückwärts Stromspitze

Freiwerdezeit

Die Freiwerdezeit tq ist das minimale Zeitintervall zwischen dem Nulldurchgang des abnehmenden Durchlaßstromes und dem Nulldurchgang der wiederkehrenden Spannung in Vorwärtsrichtung (Blockierspannung), ohne daß der Thyristor wieder leitend wird (Freiwerdezeitkippen).

Die Freiwerdezeit ist in weiten Grenzen von den jeweiligen inneren und äußeren Betriebsbedingungen abhängig.


Sperrschichttemperatur

TVJ

vorangegangener Durchlaßstrom

ITAVM

Stromsteilheit der Abkommutierung

-di/dt

wirksame Spannung in Rückwärtsrichtung

UR

wiederkehrende Spannung in Vorwärtsrichtung

UD

Spannungssteilheit der wiederkehrende Spannung

du/dt

Die Freiwerdezeit ist neben seiner speziellen Bedeutung als Dimensionierungsparameter von allgemeinen Interesse für den Einsatz von Thyristoren, da sie gleichzeitig das gesamte Schaltverhalten und damit auch das elektrische und das thermische Gesamtverhalten kennzeichnet.
Beim praktischen Einsatz ist stets zu gewährleisten, daß den Thyristoren in allen Betriebspunkten eine auszureichende Schonzeit mit negativer Sperrspannung beim Ausschalten zur Verfügung steht, die deren Freiwerdezeit um einen gewissen Sicherheitsfaktor übersteigt:


(tc = Freihaltezeit oder Schonzeit)

Netzanwendung

Thyristoren für fremd- bzw. netzgeführte Stromrichterschaltungen insbesonders zum Betrieb am 50 (60) Hz Netz (tq = 60...300µs). Thyristoren in fremdgeführten Stromrichtern am 50Hz Netz erhalten ihre Kommutierungsspannung vom Wechselspannungsnetz. Sie schalten also mit Netzfrequenz. Netzthyristoren sind auf Kosten ihrer dynamischen Eigenschaften nach ihrer Strombelastbarkeit optimiert:

Frequenzanwendung

Thyristoren für selbstgeführte Wechselrichterschaltungen (tq = 5...60µs).
Für Mittelfrequenzanwendungen oder für den Pulsbetrieb an Gleichspannung werden selbstgeführte Stromrichter eingesetzt, die ihre Kommutierungsspannungen selbst aufbringen müssen (im allgemeinen durch zusätzliche Löschkreise mit vorgeladenen Kondensatoren, Umschwingdrosseln und Hilfsventilen). Die Thyristoren schalten also mit höheren Frequenzen (z.B. 100Hz...10kHz).
Frequenzthyristoren sind auf Kosten ihrer Strombelastbarkeit oder ihres Sperrvermögen nach ihren dynamischen Eigenschaften optimiert:

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3. Verluste beim Thyristor

Einschaltverluste

Die Thyristor Verlustleistung pV während der Einschaltzeit te läßt sich darstellen als die Summe aus der statischen Verlustleistung pTstat (entsprechend der statischen Durchlaß­kennlinie) und der zusätzlichen dynamischen oder Schaltverlustleistung:

Diese Aufteilung ist im Zeitliniendiagram gezeigt. Die hier schraffiert gekennzeichnete Leistungsfläche
stellt die Schalt-Verlustenergie während des Einschaltvorgangs dar. Bei periodischem Einschaltbetrieb mit der Frequenz f ist dann die mittlere Einschaltverlustleistung.

Die Einschaltverluste hängen vom Thyristortyp und von den physikalischen und schaltungstechnischen Randbedingungen ab. Sie können nicht allgemein berechnet werden.

Für Frequenzthyristoren mit bevorzugten Anwendungsbereichen sind häufig spezielle Belastbarkeitsdiagramme angegeben. Für abweichende Beanspruchungen können dies Diagramme analysiert und damit die auftretenden Schaltverluste abgeschätzt werden.

Während die Einschaltverluste bei Netzanwendungen von untergeordneter Bedeutung sind, bilden sie bei der Mittelfrequenzanwendungen (z.B. 1kHz) eine wichtige Komponente (z.B. 50%) der Gesamtverluste.
Weiterhin muß berücksichtigt werden, daß die Einschaltverlustenergie in Gatenähe in Wärme umgesetzt wird. Sie bildet hier lokale Überhitzungen (hot spots), die den Thyristor gefährden.

Zur Einhaltung der Grenzwerte bzw. zur Verminderung der Einschaltverluste ergeben sich folgende Möglichkeiten:

  1. Geeignete Ansteuerbeschaltung
    Die Zündgeräte müssen definierte Zündstromimpulse von ausreichender Höhe, Anfangssteilheit und Dauer liefern, damit der Thyristor in Gatenähe möglichst vollständig und schnell durchgeschaltet wird. Besonders geeignet sind Stellimpulse.
  2. Begrenzung der Anfangs Stromsteilheit
    Die Anfangssteilheit des Thyristorstroms  muß gegebenenfalls durch Vorschalten von "Anodendrosseln" begrenzt werden. Häufig werden sättigbare Drosseln ("Schaltdrosseln" oder "Stufendrosseln") eingesetzt, die nach der Einschaltzeit in Sättigung gehen.
  3. Herstellermöglichkeiten
    Durch spezielle Gate Anordnungen (z.B. "Fingergates" statt Rand- oder Zentralgates) oder durch besondere technologische Konfigurationen (z.B. Thyristoren mit innerer Zündverstärkung (amplifying gate thyristors) können die dynamischen Eigenschaften wesentlich verbessert wer­den.

Ausschaltverluste

Die in den Systemgrößen dargestellt Leistungszeitfläche WTdyn stellt die Verlustenergie während des Ausschaltvorganges dar. Sie ist abhängig vom Thyristortyp und von den schaltungstechnischen Randbedingungen. Sie können wie die Einschaltverluste nicht allgemeingültig berechnet werden, sondern müssen durch Messungen oder durch Auswertung entsprechender Datenblattangaben ermittelt werden.

Die Systemgrößen während des Ausschaltens werden durch einfache Funktionen approximiert. Vereinfachte Systenmgrößen und Bezeichnungen:

Näherung des Ausschaltstroms durch eine exponentiell abklingende Funktion mit der Zeitkonstante τ.

Näherung der wiederkehrenden Spannung durch zwei Geradenstücke

Die Verlustenergie des Ausschaltvorgangs ergibt sich daraus zu

Bei periodischem Auschaltbetrieb mit der Frequenz f ist dann die mittlere Ausschaltverlustleistung:

Während die Ausschaltverluste bei Netzanwendung von untergeordneter Bedeutung sind, bilden sie bei der Mittelfrequenzanwendungen eine wichtige Komponente der Gesamtverluste (häufig wesentlich größer als die Einschaltverluste). Sie können in Schaltungen mit Antiparalleldioden vernachlässigt werden. Die Ausschaltverluste werden über die gesamte Sperrschicht verteilt in Wärme umgesetzt und sind damit weniger ventilgefährdend.
Von besonderer Bedeutung ist das Ausschaltverhalten für die Spannungsbeanspruchungen von induktiven Kommutierungskreisen.

Durchlaßverluste

Gleichstromleistung:
Wechselstromleistung:


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